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(19.05.2022 / sbr)

Mineralölkohlenwasserstoffe in Lebensmitteln – Kontaminantenrecht als zielführender Regelungsansatz zur Vermeidung von Einträgen

Der Ständige Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Lebensmittel und Futtermittel (SC PAFF) der Europäischen Kommission hat Ende April 2022 Höchstmengen für aromatische Kohlenwasserstoffe (MOAH) in Lebensmitteln für eine EU-weit harmonisierte Bewertung dieser Lebensmittelkontaminanten veröffentlicht. Damit ist die Regelung von MOAH als Kontaminanten de facto gesetzt. Die ohnehin in Teilen fragwürdige Regelung von MOAH aus altpapierhaltigen Papieren in einer nationalen Mineralölverordnung ist spätestens damit überholt und obsolet.

Hintergrund

Lebensmittel müssen sicher sein. Sie dürfen weder gesundheitsschädlich noch für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet sein (VO 178/2002). Für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet ist ein Lebensmittel u.a., wenn es infolge einer Kontamination für den Verzehr inakzeptabel geworden ist.

Als Kontaminant gilt jeder Stoff, der dem Lebensmittel nicht absichtlich hinzugefügt wird. Er kann als Rückstand der Gewinnung (einschließlich der Behandlungsmethoden in Ackerbau, Viehzucht und Veterinärmedizin), Fertigung, Verarbeitung, Zubereitung, Behandlung, Aufmachung, Verpackung, Beförderung oder Lagerung des betreffenden Lebensmittels oder infolge einer Verunreinigung durch die Umwelt im Lebensmittel vorhanden sein (VO Nr. 315/93).

Durch diese Aufzählung macht der Gesetzgeber bereits deutlich: Kontaminanten in Lebensmitteln können viele und sehr komplexe Ursachen haben. Verpackungen sind dabei nur eine mögliche Ursache unter vielen.

Es darf kein Lebensmittel in den Verkehr gebracht werden, das einen Kontaminanten in einer gesundheitlich und insbesondere toxikologisch nicht vertretbaren Menge enthält. Die Kontaminanten sind ferner auf so niedrige Werte zu begrenzen, wie sie durch gute Praxis sinnvoll erreicht werden können (VO Nr. 315/93).

Eine seit Jahren diskutierte Gruppe von Kontaminanten sind die sogenannten Mineralölkohlenwasserstoffe – häufig differenziert in gesättigte (Mineral Oil Saturated Hydrocarbons, MOSH) und aromatische (Mineral Oil Aromatic Hydrocarbons, MOAH). Sie können eine unerwünschte Kontamination von Lebensmitteln bewirken und viele mögliche Ursachen haben.

Monitoring der amtlichen Überwachung zur Abklärung der Situation

Die EU-Kommission hatte bereits 2017 in ihrer Empfehlung (EU) 2017/84 über die Überwachung von Mineralölkohlenwasserstoffen in Lebensmitteln und Materialien und Gegenständen, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen, in Ihren Erwägungsgründen festgestellt: „Mineralölkohlenwasserstoffe können durch Umweltkontamination, über Schmierstoffe in Maschinen, die bei der Ernte oder der Lebensmittelproduktion eingesetzt werden, Verarbeitungshilfsstoffe, Lebensmittelzusatzstoffe und Lebensmittelkontaktmaterialien in Lebensmittel gelangen.“

Die Mitgliedstaaten kamen unter aktiver Beteiligung von Lebensmittelunternehmen sowie anderen interessierten Kreisen, wie u.a. NGO, der Aufforderung zur Prüfung dieser Kontaminationen in Lebensmitteln nach. Viele verschiedene Produktgruppen sollten beprobt werden. Das EU Monitoring ist nun abgeschlossen; die Ergebnisse werden in die Bewertung der EFSA einfließen und ggf. Maßnahmen der Kommission nach sich ziehen.

Auch das nationale Deutsche Monitoring kam 2019 zu dem Schluss, dass lediglich in 2 von 53 verpackten Lebensmitteln MOSH bzw. MOAH oberhalb der vorgeschlagenen Grenzwerte für den Eintrag aus Lebensmittelbedarfsgegenständen aus Papier, Karton oder Pappe bzw. Altpapier nachgewiesen wurden. Jedoch zeige der Abgleich der MOSH / MOAH-Verteilungsmuster dieser 2 Lebensmittelproben, dass „der Mineralöleintrag weniger auf die Verpackungsmaterialien zurückzuführen war, sondern andere Ursachen“ hatte. Auch diese anderen Ursachen sollten aus Sicht des Verbraucherschutzes geregelt sein. Insbesondere pflanzliche Speiseöle und Fette (u.a. Palmöl, Kokosöl/-fett) als wesentliche Lebensmittel-Zutaten sollten nicht außer Acht gelassen werden, so die Monitoring-Ergebnisse 2020.

Eintragsquellen und Orientierungswerte für Mineralölkohlenwasserstoffe - viele Hausaufgaben sind gemacht

In Zusammenarbeit zwischen Überwachung (Länderarbeitsgemeinschaft Verbraucherschutz, Arbeitsgruppe Lebensmittel- und Bedarfsgegenstände, Wein und Kosmetika - ALB) und Wirtschaft (Lebensmittelverband Deutschland e. V.) wurden seit 2016 aus über 13.500 Einzeldaten für unterschiedliche Produktgruppen Orientierungswerte für MOSH und MOAH abgeleitet. Diese Listung wird stetig erweitert. Die Daten stammen aus freiwilligen Eigenkontrollen der Unternehmen sowie aus Untersuchungen der amtlichen Lebensmittelüberwachung und sind in der Aussagekraft einem nationalen Monitorring vergleichbar. Diese Orientierungswerte auf Basis des 90. Perzentils stellen im Rahmen der Guten Fachlichen Praxis (GMP) i.d.R. mindestens erreichbare Werte dar. In Bezug auf MOAH gelten die im JRC Report beschriebenen maximalen analytischen Bestimmungsgrenzen LOQmax, (jedoch) bezogen auf die Gesamtfraktion C10 - C50, als Orientierungswerte (abhängig von Fettgehalt der Matrix 0,5 mg/kg bzw. 2 mg/kg).

Ganz im Sinne der Kontaminanten-Verordnung 315/93 wurden so bereits innerhalb der Wirtschaft und Überwachung Werte ermittelt, wie sie durch gute Praxis sinnvoll erreicht werden können. Jedoch: Diese Werte möchten die Autoren als Empfehlungen und Orientierungshilfen für die Praxis verstanden wissen. Sie sind definitionsgemäß nicht als Grenzwerte zu verstehen oder anzuwenden.

Rechtssicherheit für Lebensmittelunternehmen ist bei Einhaltung – zumindest auf nationaler Ebene - gegeben.

Mit Hilfe einer bereits 2017 publizierten Toolbox des Lebensmittelverbandes zur Vermeidung von Einträgen unerwünschter Mineralölkohlenwasserstoffe von MOSH und MOAH in Lebensmittel können systematisch und unternehmensspezifisch Schwachpunkte der Lebensmittelherstellung identifiziert werden – auch unter Betrachtung der Lebensmittelkontaktmaterialien (FCM) als einen von vielen möglichen Eintragspfaden.

Auch bei Lebensmittel-Untersuchungen, zuletzt erneut initiiert von Foodwatch (Dezember 2021), in Deutschland, Frankreich, Niederlande, Österreich und Belgien waren Produkte durch ihre Mineralölrückstände aufgefallen. Einige wurden am Point of Sales in Glas- oder Kunststoff-Direktverpackungen angeboten – die Eintragspfade der Kontamination waren somit erneut vielfältig und wie bereits bei der Foodwatch-Kampagne zu MOSH und MOAH in Babynahrung in Metalldosen 2019 nicht bei der Direktverpackung des Endproduktes zu suchen. Auch Foodwatch fordert „unverzüglich entsprechende Anforderungen für MOAH in der EU-Kontaminantengesetzgebung für alle Lebensmittelkategorien festzulegen und keine Ausnahmen zuzulassen (…)“.

Das Argument, die Mineralöl-Analytik von Lebensmitteln würde zu nicht vergleichbaren und zu nicht rechtssicheren Ergebnissen führen, kann nach jahrelanger europaweiter Entwicklungsarbeit, unzähligen Ringversuchen und heutigem Sachverstand ebenfalls negiert werden. Nicht zuletzt ebneten die 2019 publizierten JRC Guidelines über „Guidance on sampling, analysis and data reporting for the monitoring of mineral oil hydrocarbons in food and food contact materials“ genau diesen Weg auf europäischer Ebene. Die Bestimmungs- bzw. Nachweisgrenzen in Lebensmitteln sind matrix- und insbesondere fettgehaltsabhängig, sind aber grundsätzlich ausreichend sensitiv und verlässlich. Eine nicht akzeptable Kontamination des Lebensmittels kann sicher nachgewiesen werden. So sollte europaweit einheitlich nun eine Kontrolle der unerwünschten Mineralölkontaminationen in Lebensmitteln möglich sein. Auch das Funktionieren des Binnenmarktes könnte so sichergestellt bleiben.

Der Ständige Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Lebensmittel und Futtermittel (SC PAFF) der EU zeigt: eine Verständigung auf EU Ebene funktioniert.

Der Ständige Ausschuss spielt eine Schlüsselrolle, wenn es darum geht sicherzustellen, dass die Maßnahmen der EU zur Lebens- und Futtermittelsicherheit praktikabel und wirksam sind. Er äußerte sich in 2021 bereits zur Bewertung der MOAH-Befunde in Säuglingsnahrung. Jüngst wurde diese Stellungnahme wie folgt aktualisiert und der Geltungsbereich weiter gefasst, wie aus dem Meeting Summary vom 21. April 2022 hervorgeht (siehe SC PAFF Webseite):

Um ein einheitliches Vorgehen bei der Durchsetzung in der gesamten EU zu gewährleisten, haben die Mitgliedsstaaten vereinbart, Produkte vom Markt zu nehmen und erforderlichenfalls zurückzurufen, wenn die Summe der MOAH-Konzentrationen – d.h. ohne Betrachtung von Fraktionen- in Lebensmitteln bei oder über den folgenden Höchstwerten (= Bestimmungsgrenzen, LOQ) liegt:

  • 0,5 mg/kg bei trockenen Lebensmitteln mit geringem Fett-/Ölgehalt (≤ 4% Fett/Öl)
  • 1 mg/kg bei Lebensmitteln mit einem höheren Fett-/Ölgehalt (> 4 % Fett/Öl)
  • 2 mg/kg für Fette/Öle

Zudem werden die zuständigen Behörden wie die Lebensmittelunternehmer aufgefordert, dem Vorhandensein von MOAH in bestimmten Lebensmitteln nachzugehen und Untersuchungen zur Kontaminationsquelle durchzuführen. Explizit benannt sind erneut Zutaten, Lebensmittelzusatzstoffe, Materialien, die mit Lebensmitteln in Berührung kommen, Schmiermittel und andere. Es sei zudem angebracht, dass die Mitgliedstaaten und die Lebensmittelunternehmer erforderlichenfalls Maßnahmen ergreifen, um das Vorkommen von MOAH in Lebensmitteln zu verhindern.

Eine Einigung auf MOAH Höchstwerte in Lebensmitteln in der EU ist de facto erfolgt.

Nach den Ergebnissen der amtlichen Überwachung, NGOs und Wirtschaft zur Ursachenanalyse und dem jahrelangen Bemühen zur Erlangung von wissenschaftlichen Erkenntnissen kann es nur noch eine Antwort geben: Benötigt wird eine Verankerung der benannten MOAH-Höchstwerte innerhalb des Kontaminantenrechts zur Festsetzung der Höchstgehalte für bestimmte Kontaminanten in Lebensmitteln (VO Nr. 1881/2006).

Dieser Regelungsansatz war bereits zu Beginn der Diskussionen eine von Experten favorisierte Möglichkeit – jedoch fehlten u.a. Vergleichswerte in Lebensmitteln, nach welchen die nach Guter Herstellungspraxis möglichen Gehalte in Lebensmitteln eingeordnet werden konnten. Mit der Finalisierung des EU Monitorings zur Mineralölthematik und den nationalen Orientierungswerten sollten der Europäischen Kommission nun hinreichend Daten vorliegen, um diese Einschätzung vorzunehmen und erreichbare Zielwerte festzulegen.

Eine nationale Mineralölverordnung bietet keinen Mehrwert für den Verbraucherschutz

Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) verfolgt jedoch aktuell mit Nachdruck weiterhin die seit dem Jahre 2011 in verschiedenen Versionen formulierte Regelung innerhalb der nationalen Bedarfsgegenstände-Verordnung (BedGgstV) – die sogenannte Deutsche Mineralölverordnung. Hier sollen einzig Lebensmittelkontaktmaterialien mit Altpapieranteilen als mögliche Quelle für Mineralöleinträge adressiert werden. Migrationsgrenzwerte für MOAH C16 bis C35 (nicht für höhermolekulare MOAH) mit 0,5 mg/kg Lebensmittel und fragwürdige Grenzwerte für MOAH Migrationen mit 0,15 mg/kg Simulanz (i.d.R. Poly(2,6-diphenyl-p-phenylenoxid / Tenax® - üblich ist hier die Angabe der Migration als Flächenbezug je dm2 und Umrechnung auf mg/kg Lebensmittel im Anwendungsfall) werden benannt. Ergänzt werden diese Werte mit einer verpflichtenden Vorgabe zum Einsatz von Barrieren gegenüber MOAH - nicht für weitere Substanzen aus dem Material.

Die alleinige Betrachtung des MOAH-Eintrags via Migration aus Altpapier-FCM verfehlt das Ziel der Kontaminantenreduktion in Lebensmitteln. Weitere, vielleicht die wesentlichen Quellen der Kontamination, werden erst deutlich nachrangig adressiert und erkannt.

Eine Regelung via Kontaminantenrecht deckte die vom BMEL adressierte potentielle Eintragsquelle ebenso mit ab – die vom SC PAFF kommunizierten Höchstwerte von 0,5 mg/kg MOAH bei trockenen Lebensmitteln regelten sämtliche MOAH Einträge. Eine nationale Mineralölverordnung bietet somit keinen Mehrwert für den Verbraucherschutz.

Eine nationale Mineralölverordnung wäre zudem nur schwer zu vollziehen. Die amtliche Überwachung kann eine Überprüfung der Migrationswerte nur bei Kenntnis des unverpackten Lebensmittels und einer ggf. bereits vorliegenden MOAH-Kontamination vor dem Verpackungsprozess beurteilen. Diese Kontrolle ist nicht ohne aufwändige Rückverfolgbarkeitsabfrage und Stufenbetrachtung sicherzustellen und funktioniert allenfalls im Inland. Damit würden deutsche Produkte systematisch diskriminiert, da nur dort eine derartige Stufenkontrolle realisierbar ist.

Verantwortung der Papier- und Verpackungsbranche für Umwelt- und Verbraucherschutz

Die Papiererzeuger, Papier- und Kunststoff-Verarbeiter sowie die Zulieferindustrie nehmen ihre Verantwortung innerhalb der Lebensmittelwertschöpfungskette wahr. In Forschungs- und Entwicklungsprojekten werden individuelle Verpackungslösungen für den Markt entwickelt. Im Fokus stehen die Auswahl der Rohstoffe und Additive, der Verpackungsaufbau und die Gestaltung der Materialien (z.B. Adsorbentien oder Barrieren).

Dass Umweltschutz und Verbraucherschutz dabei nicht gegeneinanderstehen, zeigen diverse Lösungen. Die Papiertechnische Stiftung (PTS) begleitet und berät durch Forschung und Dienstleistung zu innovativen Verpackungslösungen für Lebensmittel, um eine unbedenkliche, biobasierte, recyclinggerechte Gestaltung bereits ab der Entwicklungsphase sicherzustellen.

Eine Regelung von Mineralölhöchstwerten über das Kontaminantenrecht steht für Lebensmittel, die bereits vor dem Verpackungsprozess als sicher gelten - und durch nachhaltige, faserbasierte Verpackungslösungen weiterhin sicher und geschützt bleiben.